Einblicke in die »Corona-Kultur-Sprechstunde« in Nordrhein-Westfalen. Betroffene werden telefonisch beraten.
Harald Redmer ist Münsteraner Schauspieler – und eigentlich gerade in Rente gegangen. Nach sieben Jahren als Geschäftsführer des NRW-Landesbüros »Freie darstellende Künste« in Dortmund. Bekanntlich lässt sich das Leben nicht immer planen. Mit Füße hochlegen war nichts, jetzt ist er so eine Art »Doktor Corona« für Soloselbständige aus Kunst und Kultur.

Seit gut drei Monaten führt Redmer im Auftrag des Kulturrats NRW eine sogenannte Corona-Kultur-Sprechstunde durch. Bis September 2020 bietet er zu festen Zeiten eine individuelle telefonische Beratung für Kulturschaffende im bevölkerungsreichsten Bundesland an und berät in Fragen der finanziellen Soforthilfeprogramme für Selbständige. Das wird Angestellten und Beamten wenig sagen, den vielen Selbständigen im Kulturbereich sehr viel, denn sie sind in hohem Maße auf diese staatlichen Hilfen angewiesen: Musiker können während der Pandemie keine Konzerte machen, Schauspieler nicht mehr im Theater auftreten, ihre Einkommen gehen gegen null, Verzweiflung und existentielle Nöte machen sich breit. Um so wertvoller empfinden es viele Betroffene, wenn sie die Handynummer von Harald Redmer haben oder seine E-Mail-Adresse (CoronaKulturrat@web.de). Viele Ratsuchende schätzen seine ruhige Art, die er sich auch nach mehr als 500 Telefonaten bewahrt hat, seine knappen präzisen Informationen, die er über einen Verteiler per E-Mail verschickt.
Abgesehen von allen technischen Details geht es oft erst einmal darum, den Blutdruck runterzufahren, und die Nerven zu beruhigen, die angespannt sind, weil viele nicht durchblicken, was denn zu tun ist mit den teils sogar recht üppig sprudelnden Mitteln des Landes NRW. Viele Künstler sehen sich eben nur als Künstler und nicht als betriebswirtschaftliche Kategorie. Deswegen konnten viele (etwa 52.000 genehmigte Anträge gab es allein im Bereich der Bezirksregierung Münster) auch mit der vom Gesetzgeber vorgenommenen Trennung bei den Zuwendungen nichts anfangen. Das Geld, das da auf dem Konto lag, darf nämlich nur für betriebliche Ausgaben verwendet werden, nicht aber für den privaten Lebensunterhalt. Das allerdings entspricht so gar nicht der Lebensrealität vieler Künstler. »Und die meistgestellte Frage ist dann die: ›Jetzt habe ich die 9.000 Euro, was mache ich damit?‹ Viele wollten gar nicht so viel Geld haben. ›Das macht mir Angst. So viel Geld hatte ich noch nie auf dem Konto.‹ Das gab es auch«, erzählt Redmer.
Zwar kann er die Richtlinien auch nicht ändern, aber Tips geben, wie man die Zuschüsse ganz legal soweit wie möglich nutzt. Und nach der Phase der Beantragung und der Auszahlung wurde die nächste eingeleitet, zuviel gezahlte Gelder sollten die Geförderten zurückzahlen. Auf »reiner Vertrauensbasis«, wie Redmer betont. Kontrollen gab es nur stichprobenartig. Nun ist diese Praxis aber gestoppt worden, niemand muss bis auf weiteres einen ausgefüllten Abrechnungsbogen an die Behörde zurückschicken.
»Ich muss mit einem generellen Missverständnis aufräumen«, erklärt Redmer, »die Gelder gibt das Land nicht aus, um die Kultur oder die Künstler zu fördern, die dienen eben nur dazu, Liquiditätsengpässe, die durch die Coronapandemie plötzlich und unerwartet entstanden sind, zu beheben.« Er ist Realist genug, um zu wissen, dass er nicht jede künstlerische Existenz retten kann. Wie auch, wenn Veranstalter schon bis Mitte 2021 alle Konzerte stornieren, weil sie Angst davor haben, dass sie Ausfallhonorare zahlen müssen.
Redmer weiß natürlich auch ganz genau, was seiner Klientel am meisten zu schaffen macht. »Es ist einfach die fehlende Perspektive. Keiner kann sagen, ob und wann es wieder ›normal‹ wird, wie lange man noch in diesem Ausnahmezustand ausharren muss, improvisieren und von Rücklagen leben muss. Gerade das ist es, was alle so verzweifeln lässt und fertig macht. Ich merke ja in der Beratung, dass es Leute gibt, denen es richtig schlecht geht.«
Deswegen sei es ja so wichtig, dass es überhaupt Ansprechpartner gibt, die die Szene kennen oder selber aus ihr kommen, zudem angebunden sind an den Kulturrat NRW mit Drähten in das Landeswirtschaftsministerium hinein. Natürlich müssen auch Berater wie er beraten werden, und da ist er »bis jetzt sehr zufrieden mit der hohen Beratungsintensität durch das Ministerium. Ich habe zwei, drei Ansprechpartner, die ich selber jederzeit anrufen kann.«
Redmer ärgert sich über die vielen Desinformationen, die zur Soforthilfe durch die sogenannten sozialen Medien gingen: »Was da alles zum Thema Subventionsbetrug verbreitet worden ist, deckt sich nicht mit meinen Erfahrungen.« Das habe leider dazu geführt, dass viele Selbständige, die einen Anspruch auf die Leistungen haben, diese gar nicht erst beantragt hätten. Die Beratung durch Steuerberater sei da keineswegs immer optimal gelaufen.
Die eigene Beratungsbilanz sieht Redmer trotz oder gerade wegen der misslichen Lage positiv. »Wir sind schon relativ weit vorne in dem, was wir machen in NRW mit den Sprechstunden.« Vielleicht sogar bundesweit einmalig.
Dieser Artikel erschien in der Tageszeitung junge welt, Ausgabe vom 30.7.2020, Nr. 176.